Montag, 25. August 2014

Entmenschlichung der stationären Psychotherapie und der sozialen Arbeit

Im letzten Beitrag hatte ich erwähnt, dass die DRV im Zuge ihrer letzten Visitation unserer Klinik die Laufzeit der Entlassungsberichte zum zentralen Gütekriterium erhoben hat. Trotz hoher Patientenzufriedenheit, guter therapeutischer Leistung und räumlicher Ausstattung wurde angedroht, die Klinik nicht mehr zu belegen, wenn die Berichtslaufzeit sich nicht verbessere. Ich hatte dies als weiteres Beispiel einer unseligen Dominanz der DRV beschrieben.

Es handelt sich jedoch auch um ein Beispiel, wie Messgrößen inzwischen auch im Bereich der Psychotherapie und Sozialarbeit an Einfluss gewinnen. Neben der Laufzeit von Berichten gehören dazu besonders auch die Anzahl sogenannter evidenzbasierter Therapiemodule (ETM) sowie die personelle Ausstattung entsprechend der von der DRV geforderten Anzahl und Qualifikation.

Zur Unwissenschaftlichkeit der ETMs hatte ich mich bereits in einem früheren Beitrag geäußert. In Wahrheit handelt es sich nämlich um völlig willkürliche Bestimmungen der DRV, was welcher Patient in welchem Umfang an Behandlung benötigt (z.B. mindestens eine Stunde soziale Beratung für jeden arbeitslosen Patienten). Ob Art und Umfang der Leistung zu diesen Vorgaben passen, lässt sich dann wunderbar messen. Ob der einzelne Patient dabei jedoch tatsächlich einen Gewinn verspürt, bleibt außer Betracht. Manchmal drängt sich sogar der Gedanke auf, dass die vor Jahren häufig erlebten gemeinsamen Feste und Ausflüge von Patienten und Mitarbeitern sowie Gemeinschaftserlebnisse in der Arbeitstherapie womöglich einen höheren therapeutischen Nutzen hatten (und das besonders in einer suchtfördernden egozentrischen Gesellschaft) als die heutigen Therapiemodule wie Kommunikationstraining, Rückfallprävention, Selbstsicherheitstraining etc.

Die personelle Ausstattung einer Reha-Klinik wird ebenso rigide reglementiert. Beispielsweise werden heute für eine Suchtfachklinik gefordert: Facharzt für Psychiatrie, Psychologen und Sozialpädagogen mit DRV-anerkannter Zusatzausbildung, Ergotherapeuten etc. Wo vor Jahren  noch Ärzte verschiedener Fachrichtungen, Sozialarbeiter, Pädagogen und Theologen mit unterschiedlichen psychotherapeutischen Ausbildungen und Arbeitserzieher sowie begnadete Handwerker für die Arbeitstherapie anzutreffen waren, ist heute im personellen Bereich alles überschaubar und dadurch natürlich auch vergleichbar und messbar geregelt.

Nur leider lässt sich etwas gerade für die Behandlung psychisch Kranker sehr Wesentliches überhaupt nicht festlegen oder gar messen, und das sind die sozialen und emotionalen Kompetenzen, neudeutsch spricht man heute von „Soft Skills“. Den sozial engagierten Schreiner, der ein Händchen für schwierige Menschen hat, finden wir nicht mehr in der Arbeitstherapie. Dafür den ausgebildeten Ergotherapeuten mit passendem Zertifikat, egal, was der wirklich draufhat. Pädagogen und Theologen, die sich vor längerer Zeit mit psychotherapeutischer oder seelsorgerlicher Ausbildung engagiert um Suchtpatienten gekümmert haben, sind inzwischen Auslaufmodelle. Die Sozialarbeiter mit DRV-anerkannter suchtspezifischer Zusatzausbildung sind aber noch immer so rar, dass von ihnen jeder als Therapeut genommen wird, Soft Skills hin oder her. Dasselbe gilt für psychiatrische Fachärzte: Wenn man überhaupt einen für eine Suchtklinik bekommt, bloß zugreifen und gut bezahlen, den sonst belegt die DRV nicht mehr.

Übrigens haben wir noch eine Arbeitstherapeutin vom alten Schlag. Die würde wegen ihrer „mangelnden Qualifikation“ heute keinen Job mehr bekommen. Seltsam nur, dass in unseren Patienten-Vollversammlungen die meisten Entlasspatienten sich besonders bei ihr für die gute Behandlung und hilfreichen Gespräche bedanken.

Für mich ergeben sich deshalb diese zentralen Forderungen:
  • -       Zulassung einer Vielfalt therapeutischer Methoden (weg von den ETMs)
  • -       Wiederzulassung verschiedener sozialer Berufsgruppen mit unterschiedlichen therapeutischen Zusatzausbildungen
  • -       Stärkere Orientierung an Patientenwünschen und ihren Feedbacks (weg vom Messbarkeitswahn)

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